permakultur

Mahlzeit Kolumne 4: Von Stadtgärten, Unkraut und Wildsalat

Ein neuer Teil der Kolumne in Zusammenarbeit mit Bajour.

Gina Honauer verwandelt Basel in eine essbare Stadt. Wie es dazu kam, warum sie die Stadt dem Land vorzieht und was ein Garten mit Kindern zu tun hat, erzählt sie im Gespräch.

Gina Honauer begrüsst mich vor einem unscheinbaren Haus im Kleinbasel, unweit des Erasmusplatz. Durch einen betonierten Keller gelangen wir in den Innenhof:  Zwischen grünen Blättern diverser Kräuter und Büsche blitzen kleine blaue Blüten hervor, die Beete sind von Steinen umrandet. Im Hintergrund hört man Vögel zwitschern und Bienen summen zwischen den Blüten umher. Das verkehrslastige Quartier hinter den Hausmauern ist sofort vergessen – dank Gina.

Ein Innenhof im Kleinbasel wird zum permakultur-Stadtgarten und zur Homebase für Gina Honauer.

Gina ist Gärtnerin durch und durch. Sie ist für die Arbeit draussen gekleidet, ihren Kopf schützt sie mit einer Mütze vor der aussergewöhnlich warmen Frühlingssonne und möchte lieber ihren Pflanzen und den Bienen den Platz auf Fotos überlassen, statt sich selbst ablichten zu lassen. Nach einer Ausbildung zur Zierpflanzengärtnerin und einem BSc in Umweltingenieurwesen arbeitete sie zuerst ein paar Jahre als Product Manager für Gartenbedarf. Dann entschied sie sich, ihrer Faszination von Permakultur zu folgen und wieder selbst mit den Händen in der Erde zu wühlen. Während 4 Jahren hat sie im Gemeinschaftsgarten Landhof die Projektleitung übernommen und in dieser Zeit ihr Projekt Edibâle gestartet. Edibâle ist eine Wortschöpfung aus “edible” und “Bâle” und fasst Ginas Vision einer essbaren Stadt perfekt zusammen: Nebst dem Wildsalat und den Kräutern, die sie direkt verkauft, kollaboriert sie auch mit Gastrobetrieben und bietet Kurse an für andere Gärtnerbegeisterte. Wir sitzen während unseres Gesprächs unter einem der grossen Ahornbäume. Ob diese ausser Schatten noch etwas Erntbares produzieren, möchte ich wissen. Als Antwort kniet Gina auf den Boden, wo hunderte kleine Ahorn-Keimlinge ihre Köpfe aus der Erde strecken. “Als sie noch ganz frisch waren, mischte ich sie mitsamt ihrer Wurzeln als Micro-greens in den Salat, jetzt sind sie aber schon zu gross.” Bleiben dürfen sie vorerst trotzdem. Das ist eines von Ginas Prinzipien: Unerwartetes wird mit einbezogen.

Gina Honauer von Edibâle mit einem kleinen Ahorn-Keimling, der ungeplant hier wächst.

Ungeplant war auch die Art und Weise, wie Gina auf diesen Stadtgarten stiess:  Sie fand die Fläche zufällig per Inserat und zahlt heute eine kleine Pacht dafür, dass sie den Garten nutzen darf, für den die Bewohner*innen keine Verwendung haben. Daneben bepflanzt sie noch einen Garten im St. Johann und eine Fläche im 4058, rund um die Genossenschaft in der sie wohnt – dort hat sie zusätzlich einen Wintergarten. Doch ihre Homebase, sagt sie, sei hier, mitten in der Stadt. In diesem Garten kann sie alleine entscheiden, planen und experimentieren.

Urban Gardening – mehr als Stadttomaten

Als Urban Gardening gilt so ziemlich alles, was die Bewirtschaftung von Flächen im städtischen Raum betrifft: Gemeinschaftsgärten, Guerilla Gardening (also das wilde Säen auf öffentlichen Grünflächen), Dachgärten, Balkonbepflanzung. Die Flächen werden oft – wie auch bei Gina – in Permakultur bewirtschaftet. Permakultur orientiert sich an den natürlichen Zyklen und Abhängigkeiten der Natur. Indem der Ressourcenverbrauch und die Abfallproduktion minimiert werden, entstehen reichhaltige, vielfältige Lebensräume.

Für Gina bedeutet Permakultur langfristig auch weniger Aufwand: sie muss nicht jedes Jahr alles neu ansäen und sich Gedanken machen, was sie wann wo anpflanzen soll. Tomaten zum Beispiel seien nach ihrem Geschmack «zu Menschen-abhängig»:  ansäen, umtopfen, pikieren, die Eisheiligen abwarten und dann hoffen, dass die Schnecken noch was übrig lassen – da ist ein Garten, der seinen eigenen Rhythmus findet viel stabiler im Ertrag. Ein selbst installiertes Bewässerungssystem, das den gesamten Garten bedeckt, nimmt ihr zusätzlich Arbeit ab.

Das Stadtgärtnern habe Ausbaupotenzial, sagt Gina: Es gäbe hier in Basel eigentlich genug Flächen, aus denen man etwas machen könne. In Innenhöfen, auf Dächern, in Hochbeeten oder auf Asphaltplätzen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Wie dieser Garten hier beim Erasmusplatz sind allerdings viele Flächen in Privatbesitz und man braucht entweder Mut um zu fragen, ob man sie bepflanzen darf oder aber Glück wenn die Fläche ausgeschrieben wird – was in der Regel mit Kosten verbunden ist.

Die Pflanzen, die bei Gina wachsen, sind bunt gemischt: Einige wurden bewusst aus Sortenlisten gewählt und bei ausgesuchten Produktionsbetrieben sowie übers Netzwerk von ProSpecieRara bestellt. Da gibt es nebst vielem Einheimischem auch sogenannt Exotisches wie z.B. Epazote (mexikan. Bohnenkraut) und Kaki. Andere – die teilweise als Unkraut bezeichnet werden – haben selbständig den Weg in den Garten gefunden und werden freudig geerntet. Sie beobachtet viel und versucht abzuschätzen, wo ein Eingreifen nötig ist. 

Ein bisschen wie bei der Kindererziehung sei das: “Kinder wissen oft sehr gut, was sie brauchen, auch wenn wir Erwachsenen davon ausgehen, es besser zu wissen. Wenn wir die Pflanzen – genau wie die Kinder – ermächtigen, ihren eigenen Umgang mit Situationen zu finden, entwickeln sie oft ungeahnte Fähigkeiten.“

Edibâle ist Teil von Urban Agriculture Basel, das unter anderem vom Kanton unterstützt wird. Die Urban Agriculture Basel ist ein Zusammenschluss verschiedenster landwirtschaftlicher Projekte in Basel. Es ist Infoportal, Agenda und Vernetzung in einem. Die Plattform wird unter Anderem von der Stadtgärtnerei und dem Amt für Umwelt und Energie Basel unterstützt sowie von mehreren Stiftungen, ist jedoch nicht staatlich unterstützt. Ginas Projekt Edibâle ist Teil von UAB, genau wie die Markthalle, foodsharing, Squadra Violi und viele andere, vom Gartenprojekt über Gemeinschaftsküchen zu anti-Food-Waste-Initiativen. Wer sich fürs Gärtnern und Nachhaltigkeit interessiert, findet hier zahlreiche Projekte zum mitmachen.

Essbare, vernetzte Stadt

Es ist für Gina nie in Frage gekommen, irgendwo auf dem Land ein Projekt zu starten, wie es bei anderen Permakulturist*innen oft üblich ist. Am städtischen Umfeld schätzt sie besonders die kleinräumige soziale Vernetzung unter Lebensmittelproduzierenden und -verarbeitenden. Ein weiteres Argument ist die Verfügbarkeit von Bau- und Verbrauchsmaterial – alles ist irgendwo vorhanden. Die Wahrscheinlichkeit, dass jemand im Umfeld ein Dörrgerät ausleihen kann ist sehr hoch. Und was sie selbst nicht mehr braucht, gibt sie gerne an andere weiter. Manchmal findet man auch Dinge, die man gar nicht gesucht hat, in Ginas Fall mehrere alte Badewannen, die sie zu Beeten oder einem Teich umfunktionierte.

Des einen Müll ist des anderen Schatz: Eine alte Badewanne wurde ganz in Urban Gardening-Manier zum Beet umfunktioniert.

Heute ist bei Gina Erntetag für die Markthalle-Bestellungen. Basilikum, Dost, Knopfkraut, Vogelmiere, Schafgarbe und vieles mehr ist an diesem Tag im Wildsalat (mehr dazu unten) vertreten. Die Hälfte der Kräuter kenne ich nicht, es sind Gewächse, die oft unbeachtet am Strassenrand wachsen. Manchmal ändert die Zusammensetzung des Salates wöchentlich, so viel Verschiedenes wächst an den Standorten der Edibâle-Beeten. Geerntet werden Blüten, Blätter, Knospen, Stiele oder gar Wurzeln, sofern essbar und schmackhaft. Die Pflanzen beschäftigen Gina das ganze Jahr hindurch: wenn sie nicht jätet und erntet, dann plant sie Kurse oder die Umgestaltung von Flächen. Auch wenn sie von ediBâle noch nicht leben kann: Ihr Alltag ist das ganze Jahr hindurch von dem Projekt und der zugrunde liegenden Vision geprägt.

In die Erde, fertig, los!

Die Gartensaison ist in vollem Gange. Für alle, die noch neu starten wollen oder darauf warten, die Setzlinge von der warmen Wohnung raus auf den Balkon oder Garten zu setzen hat Gina noch ein paar Tipps:

  1. Überlege, was dich zum Pflanzenanbau antreibt und wie viel Energie du eingeben magst und kannst: Möchtest du …ein buntes Blumenmeer, um ab und zu Sträusse daraus zu binden? Lebensraum für Kleinlebewesen schaffen? Regelmässig Gemüse ernten? Einfach etwas Wachsendes im Verlauf der Jahreszeit beobachten? Eine grobe Planung hilft, die richtigen Plätze und Pflanzen auszuwählen, rechne aber auch damit, Änderungen geschehen zu lassen. Ginas Einstellung: so undogmatisch sein wie möglich, aber eine Vorstellung vom Ganzen zu haben.
  2. Gutes Substrat – also die Erde in der die Pflanzen stehen – ist essentiell. Wichtig ist, dass genügend dauerhaft strukturgebendes Material enthalten ist und – aus ökologischen Gründen – kein Torf verwendet wurde. Passende Mischungen findest du meist im Fachhandel und zwar unter dem Namen «Kübelpflanzenerde» oder «Trogerde». Die im Super- und Baumarkt erhältlichen «Gemüse-, Kräuter- oder Universalerde» taugen leider oft nur für eine Saison (fallen in sich zusammen) und sind teilweise mit Trauermücken belastet. Eine Mischung aus Landerde, Sand, Blähton, Komposterde und etwas Material wie Blätter oder Häcksel hält das Substrat dauerhaft durchlässig und nahrhaft. Kompost findet man in Basel an diversen Kompostplätzen oder du produzierst ihn mithilfe der Kompostberatung gleich selbst. 
  3. Wenn du Töpfe verwendest, dann bitte mit Löchern, damit das Wasser unten abfliessen kann. Ansonsten staut sich die Feuchtigkeit und die Wurzeln faulen – egal ob Gemüse, Zimmerpflanze oder Kraut.

Und wenn man keinen Garten hat? Auch auf einem Balkon lässt sich so einiges anpflanzen, Projekte wie Urban Roots sind sogar eigens darauf ausgelegt. Zusätzlich gibt es in der Stadt Basel einige Gemeinschaftsgärten wie beispielsweise im Landhof oder im Generationengarten am Hafen, wo man sich einfach den anderen Gärtnernden anschliessen kann. Und auch wenn man Glück haben muss, um so eine eigene Gartenfläche wie sie Gina hat zu finden: Augen und Ohren offen halten ist immer eine Option. Sich mit anderen (zum Beispiel Nachbarn, Arbeitskolleg*innen) zusammentun und nach potenziellen Flächen fragen. Sich einem der vielen offenen Projekte bei UAB anschliessen. 

Gärtnern hat auch einen therapeutischen Effekt: umgraben, wässern, pflegen und den Pflanzen beim Wachsen zusehen hat etwas Meditatives an sich. Und besonders jetzt, wo alles etwas ungewiss ist, ist so ein Beet, Topf oder Garten in der Stadt ein Fixpunkt im Alltag. Wenn dann noch Bienen summen und Vögel zwitschern, so wie hier im Kleinbasel, ist Urban Gardening auch Erholung pur.

Wer Ginas Wildsalat probieren möchte, findet ihn hier:

LOKAL

Marktschwärmer Basel

Zum Onkel

Noch mehr Impressionen aus Ginas Garten


Mahlzeit - wie Bauer Gass autark wurde

Diese Kolumne entstand in Zusammenarbeit mit Bajour.

Toni Gass ist ein kräftiger Mann mit akkurat getrimmtem Schnauz und breitem Lachen. Vorsichtig hebt er ein Lämmchen auf. Es hat sich verirrt und hat Angst vor uns Menschen. Der Bauer trägt es zur Herde, die vor dem Stall im Schnee steht, eine Decke von Schneeflocken auf dem dunklen Fell. Dieses Lämmchen wird im Herbst einen Job haben: Als Obstfresser im Wolfloch.

Das Wolfloch ist ein Bio-Permakulturhof in Oltingen am äussersten Zipfel des Baselbiets. Ein verschlungenes Strässchen hat uns hierher gebracht, der 65 Hektar grosse Betrieb von Toni Gass befindet sich weit ausserhalb des Dorfs. Hier ist der Landwirt aufgewachsen. Helfende Hände gibt es viele: einerseits saisonale Hilfskräfte, andererseits beschäftigt die Familie Gass auch Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen bei sich.

Bauer Gass mit einem seiner Lämmli, das sich gerade verirrt hat.

Wir setzen uns im Hofladen an den Holztisch. Die Möbel hat Toni selbst gebaut, das Holz stammt aus dem kleinen Waldstück, das auch zum Hof gehört. Eingelegte Kräuter und Gewürze stehen in grossen Gläsern auf Regalen. Ringelblumen, Weidenrinde, Tannentriebe. Öl, Salbe oder Sirup wird daraus gemacht und verkauft.

Toni Gass erzählt gerne von seinen vielen Experimenten. Eins davon sind seine Schafe. Und das kam so: Toni hat zahlreiche Obstbäume, Äpfel, Kirschen und Zwetschgen. Das Problem: Wenn mit Schädlingen infiziertes Fallobst am Boden liegen bleibt, greift es die Bäume an, sie werden krank und es wachsen keine Früchte. Dagegen kann man Pestizide spritzen, aber das will Toni nicht.

Also tat er sich Schafe zu. Und was passierte? Sie fressen alles Obst am Boden rübis und stübis auf. «Da findest du kein Kriesi mehr am Boden», so Tonis Feststellung. Die Bäume aber lassen sie in Ruhe. Die Schafherde hat derzeit eine «Arbeitsfläche» von zwei Hektaren.

Der Haupteffekt: die Bäume werden vor Krankheiten geschützt. Und da die Schafe weder Kraftfutter noch Medikamente erhalten, kann später auch ihr Mist verwertet werden. Sowohl Bäume als auch Tiere bleiben gesund: «Nicht mal Durchfall haben sie», sagt Toni. Was ihm zeige, dass die Symbiose zwischen Bäumen und Schafen funktioniere.

Saftiges Grün und die fleissigen Schafe: so sieht es im Frühherbst aus, wenn das Obst wächst und die Schafe viel zu tun haben.

Seit 2 Jahren ist das Wolfloch ein Bio-Betrieb, vor 15 Jahren hat er mit der Umstellung angefangen. Davor machte Toni Gass konventionelle integrierte Landwirtschaft. Ihm passte diese konventionelle Viehmast und Obstanbauweise aber nicht: Antibiotika im Futter, Krankheiten und resistente Bakterien. «Du musst dir vorstellen, konventionell geht man mit Spritzmitteln hin und zerstört Biomasse, und das kostet auch noch ziemlich viel.»

Ein anderer Grund war der Anspruch des Detailhandels, dass die Produkte alle makellos sein mussten, um im Supermarkt verkauft zu werden – das führt zu noch mehr Druck, Hilfsmittel einzusetzen, damit die Früchte makellos sind.

«Ein Schlüsselerlebnis war dann das Glyphosat, wo man lange geglaubt hat, das sei unproblematisch. Dann hab ich gesehen, dass die Bäume teilweise verkrüppelt wurden. Da hab ich gedacht nein, das will ich nicht, ich höre auf und mache Bio, fertig.»

Toni Gass, Landwirt

Doch Toni Gass geht noch weiter als Bio und macht: Permakultur.

Ein Bio-Betrieb hat zunächst mal nichts mit Permakultur zu tun – theoretisch kann man einen Bio-Hof mit nichts als Rüebli betreiben. Biodivers ist das nicht und schadet laut Toni zum Teil auch dem Boden.

Das Wort Permakultur setzt sich zusammen aus «permanent» und «agriculture», also Landwirtschaft. Es ist eine  Form des Anbaus, die sich an den Zyklen und Abhängigkeiten in der Natur orientiert. Nach und nach wurde der ganze Betrieb so umgewälzt, dass ein Kreislauf entsteht.

Ein Beispiel: Auf einigen von Toni Gass’ Feldern ragen dunkle, abgestorbene Halme aus dem Schnee. Sie stammen von Sonnenblumen. Dass die Überreste dort bleiben, ist gewollt: Die abgestorbenen Sonnenblumenhalme helfen, den Boden zu stärken und den Hafer zu nähren, der in der nächsten Saison angepflanzt wird.

Das natürliche Mittel gegen Schädlinge und Unkraut: eine Herde Schafe. Im Moment kriegen sie Heu aus dem Lager zu fressen.

Nebst den Schafen leben auch Schweine, ein paar Kühe und Pferde auf dem Wolfloch. Die Schweine erfüllen dabei auch einen wichtigen Job: Sie helfen dabei, Stroh und andere Biomasse zu kompostieren. Ohne die Schweine würde dies viel mehr Zeit in Anspruch nehmen.

Mengenmässig leben gerade so viele Tiere auf dem Wolfloch, dass die Balance zwischen Nutzen und Verbrauch gehalten wird - alles, was die Tiere fressen, stammt auch vom Hof, es ist das gleiche Getreide, das auch für die menschliche Nahrung verarbeitet wird. Von Zeit zu Zeit werden einige Tiere im Dorf geschlachtet, Toni Gass bringt sie jeweils eigenhändig dorthin.

Permakultur, Bio, was?

Die liegengebliebenen Sonnenblumen, der kompostierte Schafmist und andere Biomasse haben ein Ziel: Die Humusschicht im Boden zu stärken, die durch konventionelle Landwirtschaft abgetragen wurde. Humus bindet CO2 im Boden, was hilft, die Klimaerwärmung zu verlangsamen.

Toni will langfristig die Humusschicht auf seinem Gelände wieder aufbauen - die Schafe spielen hier nur eine indirekte Rolle: ihr Mist ist Teil der Biomasse, die mit den alten Sonnenblumen zusammen später zu Humus werden. In der Permakultur wird auch eine grosse Biodiversität angestrebt, also möglichst viele verschiedene Tier- und Pflanzenarten auf der Fläche zu beherbergen.

Bei Toni Gass wachsen zahlreiche Hecken zwischen den Feldern, wo Schmetterlinge, Vögel und Käfer einen Platz finden. Natürlich braucht es für Permakultur Zeit und Experimentierfreudigkeit. Es ist auch ein Dazulernen. «Ich hatte Läuse an den Bäumen und habe vieles ausprobiert, Essig, Alkohol… da muss man erst rausfinden was hilft.»

Ein Dorf als Mikrokosmos

Das Wolfloch ist auf dem besten Weg, autark zu werden, also selbstversorgend. Fast alles, was hier zum Einsatz kommt, wird auch hier produziert, sogar ein Teil des Stroms dank Photovoltaik-Anlage auf dem Dach.

Zucker und Diesel bezieht Toni teilweise noch von ausserhalb. Ersteres für gewisse Hofprodukte wie Sirup, zweiteres für die Traktoren. Nach Basel wird entweder mit dem ÖV oder dem elektrisch betriebenen Bus geliefert. In naher Zukunft soll es vor dem Haus eine Ladestation für Elektrofahrzeuge geben und aus der Schafwolle werden im Dorf bald Decken hergestellt (wegen Corona ist dieses Projekt derzeit pausiert). Die Betriebsgruppe der Oberen Mühle in Oltingen will die bisher ungenutzte Wolle weiterverarbeiten, immer in enger Zusammenarbeit mit Toni.

Sowieso: Dieses Oltingen. Das abgelegene Dorf ist wie ein kleines Ökosystem in sich. Nebst dem Metzger und dem Dorfrestaurant wird hier auch Bier gebraut, Kunst gemacht und unterrichtet. Alle schaffen zusammen: «Wir waren immer aufeinander angewiesen. Liestal ist weit weg, da haben wir gar nichts zu tun damit, wir helfen uns selbst.»

In den letzten Jahren sind viele Zuzüger*innen hinzugekommen, was auch politisch einen Einfluss hatte: vom traditionellen SVP-Dorf zur «grünsten Gemeinde» der Schweiz (38,4% Wähler*innenanteil im Herbst 2020). Es läuft hier ziemlich viel für so ein kleines Dorf mit 480 Einwohner*innen. Hier leben viele, denen die Art und Weise, wie ihre Lebensmittel hergestellt werden, am Herzen liegen.

Das Dorfzentrum von Oltingen. Die schmalen, kurvigen Strassen und alten Häuser erinnern an ein Bergdorf, die Einwohner*innen wählen grün.

Allerdings ist es nicht so einfach möglich, einen Betrieb wie ihn Toni hat aufzuziehen. Permakultur ist weniger einträglich als konventionelle Landwirtschaft. Zudem wollen oder können es sich viele Kund*innen nicht leisten, den höheren Preis für die Lebensmittel zu zahlen. Die Umstellung zu Bio oder mehr dauert und kostet Geld. Inwiefern man finanziell unterstützt wird, ist abhängig von Bund, Kantonen und einzelnen Institutionen, die sich punktuell einsetzen.

Im Kanton Baselland ist das Ebenrain-Zentrum für Landwirtschaft, Natur und Ernährung eine der Institutionen, die für nachhaltige Landwirtschaft einstehen. Zum Beispiel mit dem Projekt «Klimaschutz durch Humusaufbau».

Als Jungbäuer*in hat man deshalb meist noch keine grosse Wahl wie man den (übernommenen) Betrieb führen soll. Da ist es wichtig, die Rechnungen zahlen zu können. Die Umstellung, das Umdenken und allen damit verbundenen Aufwand, muss man sich zuerst auch leisten können und wollen, sagt Toni.

Die Zeit für die Experimente muss man sich nehmen, wenn man sich an Permakultur und Autarkie heranwagt – besonders wenn man einen spezialisierten Betrieb führt, wird das schwierig. Wie Toni Gass zeigt, lohnt sich das Umdenken und die Experimentiererei. Wenn man mit ihm spricht, merkt man ihm die Leidenschaft für seine Arbeit richtig an - und vielleicht werden durch ihn bald weitere Projekte angestossen, die gut fürs Klima und die Umwelt sind. Abgeschlossen ist der ganze Prozess hin zur Permakultur wohl nie. «ich weiss, dass ich nichts weiss», ist Toni Gass’ Fazit.

Tonis Produkte gibt es im Hofladen auf dem Wolfloch und beim Marktschwärmer. Beim Fleisch gilt: es het solangs het, denn diese Art der Tierhaltung bedeutet auch, dass nur entsprechend dem Bestand geschlachtet wird.

 

Rezept: Lammragout mit Nussgranola und Kartoffeln

von Arvid Weck, für 4 Personen

Lammragout

  • 400g Lammschulter
  • 2 Zwiebeln
  • 1 Knoblauchzehe
  • 2 Karotten
  • 100g Sellerie
  • 70g Lauch
  • 2 Sternanis
  • 2 Lorbeerblätter
  • 3 Nelken
  • 10 Pfefferkörner
  • 10 Wachholderbeeren
  • Erdnussöl
  • 50g Tomatenmark
  • 2dl Rotwein
  • 100g Demi-Glace
  • Wasser
  • Salz und Pfeffer

Die Lammschulter in kleine Stücke schneiden. Die Zwiebeln und den Knoblauch hacken. Karotten, Sellerie und Lauch in kleine Würfel schneiden.

In einem Schmortopf das Erdnussöl gut erhitzen. Das Fleisch mit Salz und Pfeffer würzen und scharf anbraten. Das Fleisch herausnehmen und alles Gemüse sowie die Gewürze leicht anbraten. Das Tomatenmark sowie das Fleisch wieder beigeben und 2-3 min mitdünsten. Dann mit dem Rotwein ablöschen und etwas reduzieren.

Das Fleisch mit Wasser bedecken und die Demi-Glace dazugeben. Bei kleiner Flamme oder im Ofen bei 180°C mit Deckel ca. 1,5 h schmoren bis das Fleisch schön zart ist. Vor dem Servieren nochmals abschmecken.

Tipp: Falls die Bratensauce nicht genug dick ist, einfach mit Maizena oder Kartoffelstärke abbinden.

Nussgranola

  • 20g Butter
  • 30g Haselnüsse
  • 30g Mandeln
  • 30g Erdnüsse
  • 30g Baumnüsse
  • 30g Kürbiskerne
  • 1 EL Honig
  • 1 Prise Zucker

Alle Zutaten in eine Bratpfanne geben und leicht anrösten. Dann auf ein Backpapier geben und auskühlen lassen. Nach Belieben in die gewünschte Grösse hacken.

Beilage

  • 200g Kartoffeln (mehlig kochende z.B. Agria)
  • 200g Pastinaken
  • 2 Knoblauchzehen
  • 1dl Olivenöl
  • Rosmarin und Thymian
  • Salz und Pfeffer

Die Pastinaken und Kartoffeln in kleine Würfel schneiden, den Knoblauch mit der Schale zerdrücken und mit dem Rosmarin, Thymian und dem Olivenöl, sowie den Kartoffel- und den Pastinaken-Würfeln mischen. Gut würzen und bei 180°C ca. 30 min in den vorgewärmten Ofen in die obere Hälfte des Backofens geben.

Sonstiges

  • Trauben halbiert
  • Sauerrahm
  • Frisches Grünes wie Wildsalat oder Micro Greens zum Garnieren

Kann alles zum Schluss beim Anrichten übers Gericht verteilt werden.